350 Jahre Linck-Sammlung – Geschichte und Zeugnisse Leipziger Sammlungskultur

350 Jahre Linck-Sammlung – Geschichte und Zeugnisse Leipziger Sammlungskultur

Organisatoren
Stadtarchiv Leipzig; Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Leipzig; Museum-Naturalienkabinett Waldenburg
Ort
digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.12.2021 -
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Von
Louisa-Dorothea Gehrke, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Die Leipziger Apothekerfamilie Linck legte über drei Generationen hinweg seit dem 17. Jahrhundert eine umfangreiche Naturalien- und Raritätensammlung an, die im 19. Jahrhundert von Fürst Otto Victor I. von Waldenburg erworben wurde. Dort ist sie bis heute im Museum-Naturalienkabinett Waldenburg zu besichtigen. Zu Lebzeiten der Lincks bildete die Sammlung als eines von zahlreichen Kabinetten im frühneuzeitlichen Leipzig einen Ort zentraler gesellschaftlicher Relevanz und eine Keimzelle moderner Museen. Sie bot Gelegenheit, mit dem Wissen um die Welt zu experimentieren, darüber zu diskutieren, war Begegnungsraum der „Alten Welt“ mit der „Neuen Welt“ und dem Fremden sowie ein städtischer Lernort für Akademiker, „Amateure“ und ein sich allmählich herausbildendes und teilhabendes öffentliches Publikum. Zu ihrem dreihundertfünfzigjährigen Bestehen fokussierte die wissenschaftliche Tagung in Kooperation des Museum-Naturalienkabinetts Waldenburg, des Stadtarchivs Leipzig und der Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit der Universität Leipzig auf die spezifischen Voraussetzungen und Netzwerke, die Leipzig als überregional bedeutsame Universitäts-, Messe- und Buchstadt für die Sammlungsgenese geboten hatte. Unter Einbezug einschlägiger historischer Quellen verstand sich die Tagung zudem als wissenschaftliche Bestandsaufnahme und fragte nach weiterführenden Perspektiven zur Erforschung dieser einzigartigen Sammlung.

Nach den begrüßenden Worten des Direktors des Leipziger Stadtarchivs Michael Ruprecht sowie der Leipziger bzw. Waldenburger Bürgermeister Ulrich Horning und Bernd Pohlers stellte Museumsleiterin FANNY STOYE (Waldenburg) die Sammlung vor. Sie betonte, dass die ungeteilte Erhaltung dieser ihren eigentlichen Wert ausmache. Die Referentin warf Fragen nach dem Verhältnis des Linck-Kabinetts zu anderen Leipziger Sammlungen sowie nach dem Oszillieren der Sammlungsstücke zwischen dem Kabinett, dem Laboratorium und dem Gartenhaus der Lincks auf. Sie stellte Johann Heinrich Linck d. Ä. als denjenigen der drei Sammler heraus, der die Diversität des Kabinetts prägte, das Objekte „vom Goldstück bis zur Bettwanze“ umfasste. Auch beleuchtete sie Aspekte der Linck-Sammlung als einen Objektspeicher bereits verlorener Leipziger Sammlungen sowie als Abbild der Konsumkultur.

KARSTEN HOMMEL (Halle) zeigte einen Querschnitt durch die frühneuzeitlichen Leipziger Privatsammlungen. Der überwältigende Teil lag in den Händen von Kaufleuten, Fabrikanten und Bankiers, aber auch Ärzte, Apotheker und Naturforscher verfügten in beträchtlicher Anzahl über Kabinette. Es seien zwar verschiedene Sammlungsschwerpunkte erkennbar, doch lasse sich eine gewisse Affinität zu Mineraliensammlungen ausmachen, die der Referent auf die Nähe Leipzigs zu den sächsischen Bergbauorten zurückführte. Er machte darauf aufmerksam, dass die Sammlungen oftmals repräsentativen Zwecken dienten, und stellte verschiedene Leipziger Kabinette mit unterschiedlichen Sammlungsschwerpunkten vor. Er hob die enge Verflechtung von kaufmännischen Sammlungen und wissenschaftlicher Tätigkeit hervor und wies darauf hin, dass nur wenige von Frauen zusammengestellte Kabinette bekannt seien. In der anschließenden Diskussion wurde nach der Vererbung und dem Verkauf von Sammlungen innerhalb von Freundschafts- und Klientelverbindungen gefragt und die Entwicklung einer ausdifferenzierten und sozial offenen Besucherkultur in den Sammlungen angesprochen.

SVEN PABSTMANN (Halle) stellte die Leipziger Sammlungen Johann Zacharias Richters sowie Gottfried Wincklers vor. Beide bauten Kunstsammlungen auf, die Besuchern offenstanden. Richters Kabinett bildete sogar ab 1763 Treffpunkt eines kunstinteressierten gelehrten Publikums, das dort Sitzungen unter dem Vorsitz Richters und Wincklers abhielt. Der Referent unterstrich die Bedeutung des Gästebuchs Richters, da es neben dem Gästebuch der Lincks das einzige noch erhaltene der Leipziger Sammlungskultur sei. Auch wenn die Zuordnung zu Richters Kabinett nicht eindeutig belegt werden könne, teilweise Eintragungen fehlten und viele Gäste nicht mehr zu identifizieren seien, lasse das Gästebuch Rückschlüsse auf das Sammlungspublikum und die Rezeption von Kunst und Naturkunde in der Öffentlichkeit zu. Notwendig sei eine differenzierte Auswertung, um das breite soziale Spektrum der Besucher zu rekonstruieren. In der anschließenden Diskussion kamen Fragen nach den Unterschieden zwischen den Besucherbüchern der Sammlungen Linck und Richter auf.

Die Bedeutung der Linck-Sammlung für die Medizin- und Pharmaziegeschichte stellte INGRID KÄSTNER (Leipzig) in den Mittelpunkt. Sie beschrieb das Wirken der Lincks als „medizinische Apotheker“, deren Sammlung Arzneimittel, anatomische Trocken- und Feuchtpräparate sowie Modelle aus Holz und Elfenbein enthielt. Die Referentin wies auf das bekannte Präparat eines „Kind[es] von Gestalt eines Hahnes“ hin und verdeutlichte die Orientierung der Lincks an den anatomischen Inszenierungen Frederik Ruyschs, wobei bei jenen das barocke memento mori weniger ausgeprägt sei als bei ihrem Amsterdamer Kollegen. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage nach dem Verhältnis von Apotheke und Naturalienkabinett aufgeworfen. Ein Sammlungsobjekt konnte Eigenschaften eines Heilmittels aufweisen, wurde aber sicher nicht erworben, um es eventuell noch zur Herstellung von Arzneien zu verwenden, so die Überlegung.

Mit Sammlungsstücken aus dem archäologischen Bereich befasste sich ULRICH VEIT (Leipzig). Anknüpfen konnte er dabei an ein von ihm durchgeführtes Projekt aus dem Jahr 2014, in dem entsprechende Objekte der Linck-Sammlung nach modernen fachwissenschaftlichen Standards dokumentiert wurden und das sich zugleich den Vorstellungen und Praktiken der Sammler des 18. Jahrhunderts angenähert hatte. Frühgeschichtliche Artefakte zeugten, so der Referent, von einer neu in den Fokus gerückten Epoche, die zwischen Naturgeschichte und schriftlich verbürgter Geschichte angesiedelt war. Zeitgenössische Ambivalenzen würden bei Einordnung von Steinartefakten wie etwa „Donnerkeilen“ deutlich: Diese fänden sich unter den Mineralien, nicht unter den Artefakten. Unklarheiten bestünden hinsichtlich der Rezeption der archäologischen Objekte in der Sammlung. Auf die Frage nach der Nutzung der archäologischen Keramiken für die Pharmazie antwortete der Referent, dass sich dafür weder Spuren an den Objekten finden ließen noch, dass ein entsprechender Vorfall überliefert sei.

GERHARD HEIDE (Freiberg) befasste sich mit den Siegelerden, die die Lincks zu ihrer Mineraliensammlung zählten. Sein Interesse galt unter anderem den Mineralen, die die Siegelerden bestimmten. Diese Frage lasse sich unter zerstörungsfreier Arbeit nicht leicht klären, die Untersuchung der Siegelerden als Naturmaterial könne aber für Forschungen zum Klimaschutz eine Rolle spielen. Auch sprach der Referent seine Suche nach einer Möglichkeit an, die Siegelerdensammlung Lincks virtuell zu vervollständigen. Der Sammlungsindex liste nämlich weitaus mehr Exemplare, als noch in Waldenburg vorhanden seien. Eine Diskussion entspann sich um die Motive der Siegel und die Frage, ob sich das Sammlungsinteresse auch auf diese gerichtet haben könnte.

CHRISTINA LUDWIG (Dresden) rückte ein lose erhaltenes Konvolut von barocken Kupferstichen, Aquarellen und Lithographien in und zu der Sammlung in den Mittelpunkt. Diese Grafiken gehen weit über die eigentliche Dokumentation der Sammlungsstücke hinaus, so wie es etwa bei den Seesternpräparate des älteren Linck gehandhabt wurde, die exakt abgebildet und als Buch “De stellis marinis“ im Folioformat veröffentlicht wurden. Die Sammlung enthält aber auch vermutlich als Probedruck akquirierte Aquarelle und Kupferstiche mit ethnographischem Hintergrund. Zu diesen gehören mehrere Blätter, die zwei hochrangige, stark tätowierte Native Americans zeigen. Die Referentin führte aus, dass Abbildungen der beiden Amerikaner zu Werbezwecken gedruckt wurden, nachdem die beiden Männer 1722 in Breslau „ausgestellt“ wurden. sie dokumentierten somit ein frühes Beispiel für die Vermarktung von Körpersensationen und "fremden" Menschen, die ihre Fortsetzung im 19. und 20. Jahrhundert gefunden habe. Ein Itinerar für die Reise der Native Americans durch Europa existiere noch nicht, so die Referentin auf Nachfrage, könne aber anhand der Quellen erstellt werden.

Das Vererben der Sammlung in der Familie Linck besprach MICHAEL RUPRECHT (Leipzig). Er stellte die Frage nach dem Status des Kabinetts in der Erbmasse. Bei Heinrich Linck sei keine diesbezügliche letztwillige Verfügung vorhanden gewesen. Sein Sohn und Erbe Johann Heinrich d. Ä. dagegen deklarierte die Sammlung am Ende seines Testaments als eigenen Vermögenswert, den er seinen Kindern vermachte, aber unter der konservatorischen Aufsicht der Ehefrau beließ. Johann Heinrich d. J. schließlich setzte nach dem kinderlosen Tod seines Sohnes seine Ehefrau als Alleinerbin ein und behandelte die Naturaliensammlung als gewöhnlichen Teil der Erbmasse. Hier war die Gefahr eines Zerfalls gegeben, die jedoch durch den nahezu vollständigen Erwerb (abgesehen von der wissenschaftlichen Bibliothek) durch den Waldenburger Fürsten gebannt wurde.

Der Vortrag von ULRICH JOHANNES SCHNEIDER (Leipzig) beschäftigte sich mit den Icones Piscium der Linck-Sammlung, die heute in der Universitätsbibliothek Leipzig bewahrt wird. Die Fischdarstellungen könnten nach tierischen Vorlagen aus dem Kabinett entstanden sein. Damit seien sie Zeugnisse der künstlerischen Bildproduktion über die Natur. Zudem seien sie gleichzeitig Artefakte des 18. Jahrhunderts und selbst Bestandteile der Sammlung. Im Anschluss wurde die Frage nach einer dokumentierenden und konservierenden Funktion der Fischdarstellungen gestellt. Es wäre denkbar, dass die Abbildung ausschließlich ästhetischen Ansprüchen genügen musste, aber auch ein Festhalten des Originalzustands eines Präparats –etwa zur sicheren taxonomischen Bestimmung auch nach längerer Zeit – konnte nicht ausgeschlossen werden.

SANDY NAGY (Waldenburg) gab einen Überblick über historische Präparationstechniken zur Identifizierung von zur Linck-Sammlung gehörigen Vögeln. Bei einer Röntgenbestrahlung von Objekten einer Prüfgruppe heterogener Provenienz (Kolibris) seien drei unterschiedliche Präparationstechniken zu erkennen gewesen. Merkmale der bei den Linckschen Vögeln angewandten Technik vermischten sich bei einigen Präparaten mit jenen der jüngeren Oberländer-Vogelsammlung, die sich ebenfalls in Waldenburg befinde. Dementsprechend bestehe die Möglichkeit, dass die Linck-Objekte nachpräpariert wurden. Die Untersuchung mithilfe von Röntgenstrahlen eigne sich, anhand der dabei erkannten Präparationsmerkmale auf die Provenienz der Objekte zu schließen, wenn archivalische Quellen hierzu keine Rückschlüsse mehr erlauben.

In ihrem abschließenden Vortrag schlossen JULIA SCHMIDT-FUNKE (Leipzig) und HOLGER ZAUNSTÖCK (Halle) das städtische Sammeln in den Kontext frühneuzeitlicher Sammlungskultur ein und betonten dabei die Relevanz des Städtischen. Große und wertvolle Sammlungen würden oftmals im Kontext von Residenzen behandelt – ohne zu thematisieren, dass diese durch Ankäufe stadtbürgerlicher Sammlungen entstanden oder gewachsen seien. Auch die Reflexion der Unterschiedlichkeit städtischer Entstehungsorte stelle ein Desiderat dar. Sowohl das Konzept der Sammlungslandschaft, als auch das Konzept der Wissensstadtgeschichte erlaube es, das Gesamtbild des Sammelns in einer spezifischen Stadt zu entfalten und Vergleiche mit anderen Sammlungsorten anzustellen. Die Referenten betonten unter anderem die Bedeutung von Kaufleuten bei der Zusammenstellung von Sammlungen, die Zugänglichkeit und die pädagogische Nutzung von Sammlungen, und warfen abschließend Fragen nach Sammlungskontinuitäten und zeitübergreifenden, an die Kabinette gebundenen Praktiken sowie nach den Kontinuitäten von städtischen Sammlungen im transepochalen Blick auf.

In der anschließenden Diskussion erörterten die Tagungsteilnehmenden die Rolle von Schenkungen und Stiftungen im Sammlungskontext, wobei auch die rechtliche Dimension der beiden Verfahren herausgehoben wurden. Auch der Zeitpunkt eines Übergangs zwischen Sammlungen und öffentlichen Museen sowie jener des Einsetzens der Sammlertätigkeit unabhängig von religiösen Praktiken wurden debattiert. Die Frage nach abgehängten Regionen, die keine Sammlungslandschaften darstellten, und ihren Merkmalen musste wegen fehlender systematischer Forschungen zum Thema unbeantwortet bleiben. Dasselbe galt für jene nach Beispielen für Sammlungen, die aufgrund von Wertlosigkeit bzw. Wertverlust vernichtet wurden. Hingewiesen wurde ferner auf die Gefahr, die sich aus der Eingliederung einer Sammlung in eine moderne Systematik ergebe: diese ziehe eine Entwertung für die historische Forschung nach sich. Die Tagung schloss mit dem Wunsch, weitere Forschungen zur Linck-Sammlung anzustoßen und neue sammlungsgeschichtliche Kooperationen zu knüpfen.

Konferenzübersicht:

Michael Ruprecht (Leipzig): Tagungseröffnung

Ulrich Hörning u. Bernd Pohlers: Grußworte

Fanny Stoye (Waldenburg): Fragen an die Linck-Sammlung. Das Naturalienkabinett Waldenburg im Fokus der Forschung

Karsten Hommel (Halle): „Ferner ist in Leipzig noch bis dato zu sehen…“ Das Leipziger Sammelwesen der Frühen Neuzeit im Überblick

Sven Pabstmann (Halle/Wittenberg): Besucher der Leipziger Sammlung(en) Winckler (und Richter): Ein „Who‘s who“ der Kunst- und Geisteswelt um 1800

Ingrid Kästner (Leipzig): Pharmazie und Medizin in der Linck-Sammlung. Die Lincks als medizinische Apotheker

Ulrich Veit (Leipzig): Im Schatten der Naturgeschichte: Archäologisches in der Linck-Sammlung

Gerhard Heide (Freiberg): Die Lincksche Siegelerdensammlung: Ist eine digitale Rekonstruktion möglich?

Torsten Himmel (Stuttgart): Johann Heinrich Linck der Ältere (1674 – 1734) und Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) als Vertreter der res publica litteraria im Spiegel ihrer Kontakte zu anderen Sammlern, Verlegern und Illustratoren. Ein Ansatz zu einer Netzwerkanalyse? (entfallen)

Christina Ludwig (Dresden): Leipzig – Dresden verlinckt: Verbindende Spurensuche am Beispiel der „Americanischen Printzen“

Michael Ruprecht (Leipzig): Sterben – und Erben. Vererbung der Nachlässe Linck im Spiegel der Quellen

Ulrich Johannes Schneider (Leipzig): Das Bilderwissen in der Aufklärungszeit. Wie die Linck-Sammlung in der UB Leipzig präsent ist

Sandy Nagy (Waldenburg): Problemfall „Präparation“. Die Umarbeitung der Linckschen Tierpräparate seit 1840

Julia Schmidt-Funke (Leipzig) u. Holger Zaunstöck (Halle): Die Welt in der Stadt. Städtische Sammlungslandschaften im 18. Jahrhundert – Konturen eines Forschungsfeldes


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